Liebe Leserinnen und Leser,
es ist an der Zeit, sich mit einer der prägendsten und zugleich umstrittensten Ideologien unserer Zeit auseinanderzusetzen: dem Neoliberalismus. Was in den 1930er Jahren als akademische Strömung begann, hat sich zu einer globalen Kraft entwickelt, die nicht nur Wirtschaftssysteme, sondern auch Gesellschaften und politische Landschaften tiefgreifend verändert hat. Doch die Folgen dieser Entwicklung sind besorgniserregend. Der Neoliberalismus hat nicht nur zur Ausplünderung der Welt beigetragen, sondern auch den Nährboden für einen neuen Faschismus bereitet. Lassen Sie uns gemeinsam die Ursprünge, die Entwicklung und die aktuellen Auswirkungen dieser Ideologie beleuchten.
Die Geburt des Neoliberalismus: Eine Reaktion auf den Staat
Der Neoliberalismus entstand in den 1930er Jahren als Reaktion auf den Aufstieg des Sozialismus und des Keynesianismus, die beide eine stärkere Rolle des Staates in der Wirtschaft befürworteten. Denker wie Friedrich August von Hayek und Ludwig von Mises sahen in staatlichen Eingriffen eine Bedrohung für individuelle Freiheiten und die Effizienz der Märkte. Hayeks Werk „Der Weg zur Knechtschaft“ (1944) warnte vor den Gefahren einer zentralisierten Planwirtschaft und betonte die Bedeutung von freien Märkten als Garant für Freiheit und Wohlstand.
1947 gründete Hayek die Mont Pelerin Society, ein Netzwerk von Intellektuellen, Ökonomen und Politikern, die sich der Förderung des neoliberalen Gedankenguts verschrieben hatten. Diese Gruppe legte den Grundstein für eine weltweite Bewegung, die in den folgenden Jahrzehnten an Einfluss gewann. Milton Friedman, ein weiterer Vordenker des Neoliberalismus, entwickelte diese Ideen weiter und betonte die Bedeutung von Deregulierung, Privatisierung und einer strikten Kontrolle der Geldmenge.
Der Aufstieg des Neoliberalismus: Von der Theorie zur Praxis
In den 1970er Jahren erlebte der Neoliberalismus seinen Durchbruch. Die Ölkrise, stagflationäre Tendenzen und das Scheitern keynesianischer Politikmodelle schufen ein Klima, in dem neoliberale Ideen zunehmend Gehör fanden. Politiker wie Margaret Thatcher in Großbritannien und Ronald Reagan in den USA ergriffen die Gelegenheit, um neoliberale Reformen umzusetzen. Thatcher verkündete: „Es gibt keine Alternative“ (TINA), und meinte damit, dass der Neoliberalismus der einzig gangbare Weg sei.
Diese Reformen umfassten die Privatisierung staatlicher Unternehmen, die Deregulierung von Märkten, Steuersenkungen für Unternehmen und Reiche sowie die Schwächung von Gewerkschaften. Die Idee war, den Staat zurückzudrängen und den Marktkräften freien Lauf zu lassen. Doch die Folgen waren oft verheerend: Soziale Ungleichheit nahm zu, öffentliche Dienstleistungen wurden ausgehöhlt, und die Macht von Konzernen wuchs exponentiell.
Die Globalisierung des Neoliberalismus
Mit dem Fall der Berliner Mauer und dem Zusammenbruch der Sowjetunion schien der Neoliberalismus endgültig gesiegt zu haben. Die „Washington Consensus“-Politik, die von Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank vorangetrieben wurde, verbreitete neoliberale Reformen in der ganzen Welt. Entwicklungsländer wurden gezwungen, ihre Märkte zu öffnen, staatliche Unternehmen zu privatisieren und Sozialausgaben zu kürzen, um Kredite zu erhalten.
Doch die Versprechen des Neoliberalismus – Wohlstand für alle durch freie Märkte – erfüllten sich nicht. Stattdessen führte die Globalisierung zu einer Konzentration von Reichtum in den Händen weniger, während große Teile der Bevölkerung verarmten. Die Finanzkrise von 2008 offenbarte die Schwächen des neoliberalen Modells: Eine deregulierte Finanzindustrie hatte die Weltwirtschaft an den Rand des Abgrunds gebracht, und die Folgen trugen vor allem diejenigen, die am wenigsten dafür konnten.
Die politischen Folgen: Der Aufstieg des neuen Faschismus
Die sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen, die der Neoliberalismus verursacht hat, haben den Nährboden für politischen Extremismus bereitet. In den USA ist die Wahl von Donald Trump im Jahr 2016 ein Symptom dieser Entwicklung. Trump nutzte die Wut und Frustration derjenigen, die sich von der globalisierten Wirtschaft abgehängt fühlten, und versprach, das System zu „drain the swamp“. Doch seine Politik war keineswegs antineoliberal – im Gegenteil, sie setzte auf Steuersenkungen für Reiche und weitere Deregulierung.
In Europa beobachten wir ähnliche Entwicklungen. In Deutschland haben Parteien wie die AfD, aber auch große Teile der CDU/CSU und FDP, einen Rechtsruck vollzogen. Die AfD profitiert von der Unzufriedenheit mit der neoliberalen Politik der letzten Jahrzehnte und schürt Ängste vor Migration und Globalisierung. Gleichzeitig vertreten Teile der CDU/CSU und FDP weiterhin neoliberale Positionen, die soziale Spaltungen vertiefen und den Nährboden für extremistische Bewegungen bereiten.
Die Verbindung zwischen Neoliberalismus und neuem Faschismus
Der neue Faschismus, den wir heute erleben, ist kein Zufall, sondern eine direkte Folge des neoliberalen Projekts. Der Neoliberalismus hat die Gesellschaften zerstört, die er zu befreien versprach. Durch die Zerschlagung von Solidaritätsstrukturen, die Privatisierung öffentlicher Güter und die Förderung eines „Jeder-gegen-Jeden“-Wettbewerbs hat er eine Atmosphäre der Unsicherheit und des Misstrauens geschaffen. In diesem Klima gedeihen populistische und faschistische Bewegungen, die einfache Lösungen für komplexe Probleme versprechen.
Der neue Faschismus ist nicht identisch mit dem Faschismus des 20. Jahrhunderts, aber er teilt einige seiner Merkmale: die Ablehnung von Pluralismus, die Feindseligkeit gegenüber Minderheiten und die Sehnsucht nach einem starken Führer. Er ist das Ergebnis einer Gesellschaft, die durch den Neoliberalismus zutiefst gespalten wurde.
Was tun? Ein Ausblick
Die Frage, die sich uns heute stellt, ist: Wie können wir den Neoliberalismus überwinden und eine gerechtere, solidarischere Gesellschaft schaffen? Es gibt keine einfachen Antworten, aber einige Schritte sind unerlässlich:
1. Wiederbelebung des Sozialstaats: Wir müssen öffentliche Dienstleistungen stärken und sicherstellen, dass sie allen zugutekommen.
2. Regulierung der Märkte: Die Macht von Konzernen und Finanzinstitutionen muss eingedämmt werden, um soziale und ökologische Standards durchzusetzen.
3. Stärkung der Demokratie: Wir müssen sicherstellen, dass politische Entscheidungen im Interesse der Mehrheit und nicht einer kleinen Elite getroffen werden.
4. Solidarität und Zusammenhalt: Wir müssen neue Formen der Solidarität schaffen, die über nationale Grenzen hinausgehen und die gemeinsamen Herausforderungen unserer Zeit angehen.
Der Neoliberalismus hat die Welt ausplündert und den neuen Faschismus beflügelt. Doch wir haben noch die Macht, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Es liegt an uns, eine Zukunft zu gestalten, die auf Gerechtigkeit, Solidarität und Menschlichkeit basiert.
Mit besorgten Grüßen,
Schwabing Dog