Wachstum für wen, die AfD? – Der Investitions-Booster und die soziale Spaltung der deutschen Wirtschaft

Wachstumsversprechen mit sozialem Risiko

Es klingt nach einer klaren Botschaft an die Wirtschaft: Deutschland investiert in die Zukunft. Der von Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) vorgestellte „Investitions-Booster“ soll Unternehmen Anreize schaffen, zu modernisieren, digitalisieren und vor allem klimafreundlich umzurüsten. Doch hinter den Zahlen und steuerlichen Spielräumen verbirgt sich eine tiefe strukturelle Frage: Wer profitiert wirklich?

Denn das Programm wirkt nicht nur wirtschaftspolitisch fragwürdig, sondern auch sozialpolitisch bedenklich. Es ist ein Programm, das auf die Stabilisierung des Kapitalmarktes abzielt – doch es gefährdet dabei möglicherweise etwas viel Wertvolleres: die gesellschaftliche Mitte.

Die Maßnahmen im Überblick

  • Eine Sonderabschreibung von bis zu 30 % auf bewegliche Wirtschaftsgüter wie Maschinen oder IT-Infrastruktur in den Jahren 2025 bis 2027.
  • Für neu gekaufte Elektrofahrzeuge sollen bis zu 75 % Abschreibung im Anschaffungsjahr möglich sein.
  • Ab 2028 soll die Körperschaftsteuer schrittweise sinken , von 15 % auf 10 % im Jahr 2032.
  • Der Thesaurierungssteuersatz wird reduziert, um Gewinne im Unternehmen zu belassen und Investitionen anzukurbeln.
  • Die steuerliche Forschungsförderung wird ausgeweitet.

Diese Instrumente sind klassische Mittel neoliberaler Wirtschaftspolitik: weniger Steuern, mehr Freiraum für Unternehmen, mehr Innovation durch private Initiative. Doch sie basieren auf einem Glaubenssatz, der in der aktuellen Krise brüchig geworden ist: Dass die Vorteile dieses Wachstums automatisch bei der Bevölkerung ankommen würden.

Die Verteilungswirkungen: Klassismus verpackt als Wachstumsstrategie

Die Realität zeigt jedoch: Diese Maßnahmen verstärken bestehende Ungleichheiten.

🧱 Niedriglohnsektor: Keine Entlastung, keine Perspektive

Beschäftigte im Niedriglohnsektor – Pflegekräfte, Reinigungskräfte, Verkäufer:innen, Lagerarbeiter:innen – haben vom Investitions-Booster kaum etwas. Sie profitieren nicht direkt von Sonderabschreibungen oder Steuersenkungen. Und indirekt? Da bleibt vieles Spekulation. Denn es gibt keinerlei Auflagen dafür, dass Unternehmen ihre Steuervorteile in Löhne, Arbeitsbedingungen oder Weiterbildung investieren müssen.

Im Gegenteil: Gerade Investitionen in Automatisierung könnten Arbeitsplätze in diesem Bereich sogar gefährden. So entsteht ein Paradoxon: Während manche Unternehmen neue Maschinen und KI-Programme abschreiben können, drohen Menschen ihren Job zu verlieren – oft ohne Alternative.

🏛️ Renten: Die Kosten kommen später

Rentner:innen stehen außen vor. Sie profitieren nicht von Steuervergünstigungen, aber sie werden spüren, wenn staatliche Einnahmen sinken. Die langfristige Senkung der Körperschaftsteuer bedeutet weniger Geld für den öffentlichen Haushalt – und damit potenziellen Druck auf Renten, Pflegeleistungen oder Gesundheitsausgaben.

🚪 Migranten: Im Schatten der Wachstumsförderung

Migrant:innen sind überproportional im Niedriglohnsektor beschäftigt – und damit dort, wo keine Förderung stattfindet. Ohne gezielte Qualifizierungsprogramme, Anerkennung ausländischer Abschlüsse oder bessere Integration in den Arbeitsmarkt bleiben viele weiterhin am Rand der Gesellschaft.

📚 Bildung: Die Zukunft wird nicht investiert

Wenn es um langfristiges Wachstum, sozialen Aufstieg und technologische Wettbewerbsfähigkeit geht, dann ist Bildung der Schlüssel. Doch im aktuellen Investitions-Booster bleibt sie außen vor. Weder in der Struktur noch im Inhalt des Programms finden sich konkrete Maßnahmen, die den Bildungsbereich stärken würden – obwohl gerade hier der Grundstein für eine zukunftsfähige, gerechte Wirtschaft gelegt werden könnte.

Keine Förderung für Chancengleichheit

Die Sonderabschreibungen für Maschinen, E-Autos oder Fuhrparks sind darauf ausgerichtet, kurzfristig die Produktionskapazitäten großer Unternehmen zu erhöhen. Doch was nützt modernste Technik, wenn die Arbeitskräfte fehlen, sie zu bedienen? Deutschland leidet unter einem dramatischen Fachkräftemangel – insbesondere in MINT-Berufen, aber auch in Pflege, Handwerk und Sozialberufen.

Das Programm bietet jedoch keine flankierenden Maßnahmen zur Qualifizierung , erst recht keine Offensive für Menschen mit Migrationshintergrund, Alleinerziehende oder Langzeitarbeitslose. Es bleibt bei einer rein kapitalmarktorientierten Logik – statt einer Bildungsorientierung, die Innovation und soziale Mobilität zusammenführt.

Digitalisierung ohne Infrastruktur

Auch im Bereich der digitalen Bildung gibt das Programm kaum Impulse. Schulen kämpfen weiterhin mit veralteter IT-Ausstattung, unzureichender WLAN-Anbindung und fehlender Lehrkräftefortbildung. Der digitale Graben zwischen Stadt und Land, zwischen gut ausgestatteten Gymnasien und beruflichen Schulen wird sich durch dieses Programm eher vertiefen.

Dabei wäre jetzt der Zeitpunkt, in digitale Bildungsinfrastruktur zu investieren – nicht nur für die Arbeitswelt von morgen, sondern auch, um benachteiligte Schüler:innen nicht abgehängt zurückzulassen.

Hochschulen und Forschung: Nur am Rande erwähnt

Zwar wird die steuerliche Forschungsförderung ausgeweitet – doch diese zielt primär auf wirtschaftsnahe Forschung in Privatunternehmen. Öffentliche Hochschulen, die oft den Nachwuchs liefern, bleiben auf der Strecke. Gleichzeitig steigt der Druck auf junge Menschen, sich immer mehr zu verschulden, um überhaupt Zugang zu höherer Bildung zu erhalten.

Ein wirkliches Zukunftsinvestitionsprogramm hätte hier ansetzen müssen: mit kostenlosen Studienplätzen, besseren Bedingungen an Berufsschulen, mehr individueller Förderung in der Sekundarstufe I und einem Ausbau dualer Systeme, die Theorie und Praxis verbinden.

Bildung als vergessene Säule des Fortschritts

Der aktuelle „Investitions-Booster“ ist ein Signal an die Konzerne – kein Zeichen für die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft. Denn Bildung ist nicht bloß eine Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum. Sie ist die Grundlage für Teilhabe, Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Wer Bildung vernachlässigt, investiert nicht in die Zukunft – er sichert bestenfalls einen kurzen Wachstumsschub auf Kosten der Generationen, die ihn später stemmen müssen.

💉 (Chronisch) Kranke: Auf staatliche Unterstützung angewiesen

Chronisch kranke Menschen sind besonders abhängig von staatlichen Leistungen. Wenn Mittel in den Klimafonds umgeschichtet werden, drohen Kürzungen in Bereichen wie Grundsicherung, Pflege oder medizinischer Versorgung. Das widerspricht dem Grundgedanken eines solidarischen Sozialstaats.

👩‍👧 Alleinerziehende: Armut durch falsche Prioritäten

Alleinerziehende zählen zu den am stärksten gefährdeten Gruppen in puncto Armut. Ihnen helfen keine Sonderabschreibungen, sondern bezahlbarer Wohnraum, Kitaplätze, stabile Löhne und soziale Sicherheit. Diese Themen bleiben im aktuellen Programm weitgehend unberücksichtigt.

Das Klimageld fällt weg – die Last bleibt bei den Schwächsten

Eines der größten Probleme dieses Programms ist der Wegfall des sogenannten Klimageldes – jener direkten Entlastung für Bürger:innen, die im Zuge der CO₂-Bepreisung eingeführt werden sollte. Stattdessen sollen nun Unternehmen investieren, während die Bevölkerung die Kosten des ökologischen Umbaus trägt.

Dies ist nicht nur sozial ungerecht – es ist auch politisch riskant. Denn wer sich beim Klimaschutz allein auf Technologie und Steuergeschenke verlässt, ohne sozialen Ausgleich, gefährdet die Akzeptanz der gesamten Transformation.

Ungleichheit und Polarisierung: Die Stärkung des rechten Randes

Die größte Gefahr dieser Politik liegt jedoch nicht in den Zahlen – sie liegt in ihrer gesellschaftlichen Wirkung . Wenn sich die Mitte der Gesellschaft benachteiligt fühlt, wenn Arbeit nicht fair belohnt wird, wenn Preise steigen und Leistungen sinken, dann entstehen Räume für Populisten.

Die AfD hat in den letzten Jahren genau dort zugelegt, wo soziale Sicherheit bröckelt – in strukturschwachen Regionen, bei prekär Beschäftigten, bei älteren Menschen, bei Familien mit geringem Einkommen. Dieses Wirtschaftsprogramm wird diese Dynamik nicht stoppen – es könnte sie sogar verstärken.

Fazit: Wachstum muss für alle da sein

Deutschland braucht Investitionen – das ist unbestritten. Aber Investitionen, die nur einige bereichern, während andere zurückbleiben, sind keine Lösung. Sie sind Teil eines Problems, das wir längst kennen: der Umverteilung von unten nach oben .

Eine moderne Wirtschaftspolitik muss endlich begreifen, dass soziale Gerechtigkeit kein Hindernis für Wachstum ist – sondern seine Grundlage . Nur eine starke, faire Mittelschicht kann eine stabile Wirtschaft tragen. Und nur eine Wirtschaft, die für alle da ist, kann eine Demokratie stabil halten.

Sonst wird der Preis für diesen Investitions-Booster nicht in Euros gemessen – sondern in rechtsextremen Stimmen.

Die Kurz-URL des vorliegenden Artikels lautet: https://klassengesellschaft.com/xm33

Über Schwabing Dog

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Hundeaffiner Frührentner & politischer Aktivist, der gerne seine Privatsphäre pflegt. Als tierliebende Betreuungsperson von Fellnasen mag ich besonders gern anspruchsvolle Charakterhunde (Sturrköpfe), die bei mir auch mal so richtig aufdrehen (toben) dürfen.

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