Es ist eine bittere Ironie der Geschichte, dass Deutschland sich heute in einer Debatte über Migration befindet, die von einem merkwürdigen Amnesie-Syndrom geprägt ist. Während die CDU/CSU und AfD versuchen, das Thema Migration zu einem Sündenbock für alle gesellschaftlichen Missstände zu stilisieren, scheint man vergessen zu haben, dass es genau diese Gruppe von Menschen war, die Deutschland nach den Trümmern des Zweiten Weltkrieges wieder auf die Beine half. In Zeiten, da wir uns mit einem “Zustrombegrenzungsgesetz” beschäftigen, möchte ich Sie einladen, einen Blick zurück zu werfen – nicht nur um die historische Realität zu beleuchten, sondern auch um die zynische Gegenwart in ihrem vollen Umfang zu verstehen.
Die Flucht aus den Trümmern: Die Integration der Vertriebenen als Paradigma
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges lag Europa in Schutt und Asche. Adolf Hitler hatte sein Land und ganz Europa in eine Katastrophe gestürzt, deren Ausmaß kaum vorstellbar war. Seine These vom “Volks ohne Raum” – ein rassistisches Konstrukt, das zur Begründung seines imperialistischen Eroberungskrieges diente – wurde brutal widerlegt, als Millionen von Menschen aus Ost- und Mitteleuropa nach Deutschland strömten. Es waren die sogenannten Flüchtlinge und Vertriebenen, die Deutschland nach 1945 erneut bevölkerten.
Die Zahlen sind atemberaubend: Etwa zwölf Millionen Menschen kamen in die westlichen Besatzungszonen – darunter acht Millionen in den Gebieten, die später zur Bundesrepublik wurden. Das entspricht einem Bevölkerungsanteil von 16 Prozent. In der DDR lebten sogar vier Millionen Vertriebene, was einem Anteil von 25 Prozent gleichkommt. Diese Menschen waren keine Fremden, aber sie wurden oft wie solche behandelt. Man stelle sich vor: Zwölf Jahre nationalsozialistischer Propaganda hatten Spuren hinterlassen, und die Vorstellung von “slawischen Untermenschen” war noch tief verankert.
Historiker wie Andreas Kossert betonen, dass die Aufnahme der Vertriebenen keineswegs problemlos war. Viele ankamen in erbärmlichem Zustand, verlaust und zerlumpt, und sie passten nicht in das Idealbild eines “ordentlichen deutschen Bürgers”. Doch gerade dieser Prozess der Integration zeigt uns, dass Integration kein Selbstläufer ist. Sie erfordert Willen, Respekt und Zeit. Und wenn wir ehrlich sind, hat Deutschland damals diese Herausforderung weitgehend gemeistert. Die Vertriebenen wurden nicht nur integriert, sondern trugen maßgeblich zum wirtschaftlichen Aufschwung bei.
In Nordrhein-Westfalen etwa entwickelten sich neue Industriezweige durch die Ankunft der Vertriebenen. In der Montanindustrie, im Bauwesen, in der Textilbranche sowie im Maschinenbau ersetzten sie fehlende Arbeitskräfte oder gründeten neue Produktionszweige. Ohne sie wäre der berühmte deutsche “Wirtschaftswunder” schwerlich möglich gewesen.
Die Gastarbeiterjahre: Der Beginn der modernen

Mit der beginnenden industriellen Prosperität in den 1950er Jahren kam jedoch ein neues Problem auf: Der Bedarf an Arbeitskräften stieg rapide, während die deutsche Nachfrage nach Fachkräften nicht mehr durch die einheimische Bevölkerung gedeckt werden konnte. Die Lösung? Gastarbeiter aus Italien, Griechenland, Spanien und später vor allem aus der Türkei.
Die Idee war simpel: Arbeiter kommen nach Deutschland, arbeiten für ein paar Jahre und kehren dann in ihre Heimat zurück. Doch das Leben hat nun einmal die Angewohnheit, komplizierter zu sein als politische Pläne. Viele dieser Gastarbeiter blieben, gründeten Familien und wurden Teil der deutschen Gesellschaft. Ihre Kinder und Enkel gehören heute zu den erfolgreichsten Mitgliedern unserer Gemeinschaft – ob als Ärzte, Ingenieure oder Unternehmer.
Aber auch hier gibt es eine dunkle Seite der Geschichte: Zu lange wurden diese Menschen systematisch diskriminiert. Sie bekamen schlechte Wohnungen, untergeordnete Arbeitsplätze und mussten oft gegen Rassismus ankämpfen. Dennoch haben sie Deutschlands Wirtschaft nachhaltig gestärkt. Wer heute von der Automobilindustrie schwärmt oder von der Effizienz deutscher Fabriken spricht, sollte wissen, dass dies auch ein Verdienst der Gastarbeiter ist.
Moderne Migration: Die Flüchtlingskrise und ihre Folgen
Fast siebzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erlebte Deutschland erneut einen massiven Zuzug von Menschen aus Krisengebieten – diesmal vor allem aus Syrien, Irak und Afghanistan. Die Regierung unter Angela Merkel öffnete die Grenzen im Jahr 2015, und Hunderttausende suchten in Deutschland Schutz. Damals hörte man viel von der “Willkommenskultur”, doch bald machten sich alte Vorurteile breit. Einige Politiker begannen, die Ankömmlinge als Belastung zu sehen, statt sie als Chance zu erkennen.
Was haben wir heute davon? Studien zeigen klar und deutlich, dass Migranten langfristig einen positiven Beitrag zur deutschen Wirtschaft leisten. Sie füllen Lücken in Bereichen wie Pflege, Baugewerbe und IT-Outsourcing. Ohne sie würden viele Unternehmen pleite gehen, und der Staat würde erhebliche Steuereinnahmen verlieren. Doch stattdessen hören wir immer wieder von einer angeblichen “Belastung”. Diese Argumentation basiert auf einem absurden Nullsummendenken, das die komplexe Dynamik moderner Gesellschaften ignoriert.
Der Preis des Undankbarkeitskultus
Nehmen wir das Beispiel der Pflegekräfte: Ohne ausländische Pflegende könnten viele deutsche Senioren nicht angemessen versorgt werden. Doch stattdessen wird über Niedriglöhne diskutiert und über “billige Arbeitskräfte”. Ist das wirklich die Art von Gesellschaft, die wir sein wollen?
Ein Appell an unseren Verstand – und unser Herz
Deutschland hat eine glorreiche Geschichte der Integration, die wir heute gefährden. Wenn wir weiterhin in einer Logik des Misstrauens und der Abschottung bleiben, werden wir den Preis dafür bezahlen – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch moralisch. Migration ist keine Bedrohung, sondern eine Chance. Sie ist ein Motor der Innovation, ein Quell der Vielfalt und ein Garant für unseren Wohlstand.
Lassen Sie uns also endlich aufhören, über “Zustrombegrenzungsgesetze” zu diskutieren, die nichts weiter tun, als alte Wunden aufzureißen. Lernen wir stattdessen aus unserer Geschichte und begrüßen die Menschen, die bereit sind, unser Land zu bereichern. Denn eines steht fest: Ohne Migration hätte Deutschland nach 1945 niemals wieder aufgebaut werden können. Und ohne Migration wird es auch heute keinen Weg nach vorn geben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, Schwabing Dog.
Klassengesellschaft Deutschland Die sozioökonomische Ungleich nimmt zu